Dienstag, 9. November 2010

Deutschland - Eine "Dagegen!"-Republik?

Die Castoren sind in Gorleben angekommen, somit ein guter Zeitpunkt, mal eine kleine persönliche Bilanz zu ziehen.

Ich habe den ganzen Transport aufmerksam in den Medien, speziell den Livetickern verfolgt.

Atomstrom - eine komplizierte Sache

Mir fällt es ein wenig schwierig, mich eindeutig auf einer Seite zu positionieren, denn ich verstehe die Argumente beider Seiten.

Wir leben in einem Zeitalter, in dem ohne Energie nicht viel läuft. Das Sparpotential ist auch begrenzt, denn es bilden sich auch immer mehr Gruppierungen, die Energiesparlampen verteuteln und das Glühbirnenverbot wird längst durch Umdeklaration der Glühbirnen zu Heizelementen (siehe Heatball) umgangen. (Das Glühbirnenverbot finde ich auch nicht besonders sinnvoll und auch Energiesparlampen haben durchaus ihre Tücken, aber das führt an dieser Stelle jetzt zu sehr vom Thema ab.)

Die meisten regenerativen Energiequellen wie Sonne und Wind haben das Problem, dass sie sehr großen Schwankungen unterliegen.

Ebenso ist die Nachfrage nach Strom ständigen Schwankungen unterworfen und die Energieversorger sind ständig bemüht, die Kraftwerke passend zur Nachfrage nachzuregeln. Das klappt nun nicht mit allen Kraftwerkstypen gleich gut. AKWs sind zum Beispiel sehr leistungsstark, aber auch sehr träge. Gasturbinen sind im Betrieb teuer, aber flott zu regeln.

Bei Sonne und Wind kann man keine Schwankungen ausgleichen, diese Energieträger bringen selbst Schwankungen in das System. Und so ein Energieverteilnetz ist eine sehr empfindliche Sache. Eine falsche Verbrauchsprognose kann zur Überlastung einer Leitung führen, welche sich notabschaltet und dadurch zur Überlastung weiterer Leitungen führt. Eine Kettenreaktion beginnt und am Ende sitzt das halbe Land im Dunkeln.

Was fehlt, ist eine effektive Möglichkeit, Strom zu speichern um einen Regelungspuffer zu gewinnen. Akkus sind zur Speicherung von Strom im großen Maßstab leider noch zu ineffizient. Daran krankt bisher auch das Elektroauto.

Eine Möglichkeit wäre, mit Wind- und Solar-Energie Wasser in einen großen Stausee zu Pumpen und mit der dort gespeicherten Energie nach Bedarf ein Wasserkraftwerk zu betreiben. (Pumpspeicherwerk)

Möglicherweise kann man mit der Wind- und Solar-Energie auch Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff spalten und mit Verbrennungsmotoren/Turbinen bei Bedarf wieder in Strom verwandeln. Dabei wird aus Wasserstoff und Sauerstoff wieder Wasser. Ich weiss aber nicht, wie gut das in großem Maßstab funktioniert.

Bei den Stauseen bin ich jedoch ziemlich sicher, dass es auch hier großangelegte Proteste gäbe.

Ein weiteres Problem ist, dass die Stromerzeugung durch Windenergie vor allem in den Küstenregionen effektiv ist bzw. die Windräder in der Nordsee niemanden durch Geräusche und flackernde Schatten stören können.

Hierfür bedarf es jedoch auch eines Umbau des Energienetzes und wahrscheinlich auch des Baus weiterer Hochspannungstrassen.

Es ist also unrealistisch, die AKWs sofort abschalten zu wollen.

Die Entscheidung, die AKW-Laufzeiten zu verlängern, kann ich somit durchaus nachvollziehen, solange es wirklich keine realistische Ersatztechnologie gibt.

Was ich dagegen überhaupt nicht nachvollziehen kann, ist die Art und Weise, mit der diese Laufzeitverlängerung durch die Hintertür durchgedrückt wurde. Damit hat die Politik viel Vertrauen zerstört und sich gewiss keinen Gefallen getan.

Die friedlichen Demonstrationen gegen den Castor-Transport kann ich somit durchaus verstehen und unterstützen, sofern man den Zug nur als Symbol betrachtet. Dass der Castor-Transport selbst unumgänglich ist, kann man eigentlich nicht anzweifeln, denn die Transporte sind nur eine Folge der vergangenen Nutzung. Das wäre als wenn man die Umwelt schützen wollte in dem man die Müllabfuhr verbietet, anstatt sich auf die Müllvermeidung zu konzentrieren.

Sinnvoller wäre es doch eigentlich, anstatt gegen die Entsorgung der alten Brennelemente gegen die Bestückung der AKWs mit neuen Elementen zu demonstrieren. Wenn der Laster mit den neuen Brennelementen nicht durchkommt, trifft es auch eher diejenigen, die unmittelbar mit dem Atomstrom verdienen und daher vielleicht auch ein geringeres Interesse an der Forschung nach Alternativen haben.

Aber als Symbol sind die Proteste gegen den Zug für mich wie gesagt ok. Jedenfalls solange sie friedlich und im Rahmen bleiben. Für das mutwillige Entfernen von Schotter aus den Gleisen habe ich kein richtiges Verständnis. Wenn der Zug entgleist kann das folgen haben, die auch die Anti-AKW-Aktivisten mit Sicherheit nicht haben wollen.

Ich fände es besser, wenn ein politischer Weg gefunden würde, die Eigenmächtigkeiten mancher Politiker abzustrafen. Dann könnte man das ganze Geld, das in die Polizeieinsätze geflossen ist, vielleicht auch in die Forschung nach echten Alternativen investieren.

Ich vermute, dass es manchen Demonstranten auch mehr um die "Ausnahmeerfahrung" als willkommene Abwechslung vom Alltag ging. Es bleibt abzuwarten, ob die Proteste nun weitergehen oder alle nach dem "Abenteuerwochenende" wieder zum Tagesgeschäft übergehen.

Stuttgart 21

Spannend wird es auch, wie es nun mit Stuttgart 21 weitergeht. Ich könnte mir gut vorstellen, dass sich die Proteste dort nun auch verschärfen, nachdem die Protestkultur beim Castor-Transport ja ziemlich gut funktioniert hat.

Zu Stuttgart 21 muss ich allerdings sagen, dass ich zu diesem Projekt keine wirkliche Meinung habe. Stuttgart ist weit weg und ich habe keine Ahnung, ob die Stadt einen neuen Bahnhof braucht oder nicht. Und wenn ja, ob es ein teurer unterirdischer sein muss. Da halte ich mich an Dieter Nuhr, der da sagt: "Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal Fresse halten!"

Ich finde es wichtig, zu den (subjektiv) wichtigen politischen Themen eine eigene(!) Meinung zu haben, aber auch hier ist weniger manchmal mehr. Würde ich mich mit jedem Bahnhof in Deutschland befassen, und sei er noch so weit weg, käme ich zu nichts anderem mehr. Und auch der Sache selbst ist mit zu vielen Meinungen nicht immer gedient. Zu viele Köche verderben bekanntlich den Brei und man kann alles totreden.

Was mich an Stuttgart 21 allerdings sehr wundert ist das Verfahren. In Deutschland muss man normalerweise nicht befürchten, dass einem der Amtsschimmel davongaloppiert. Alles wird x-fach geprüft, so zieht sich auch Stuttgart 21 seit 1-2 Jahrzehnten hin. Wieso kommen die ganzen Proteste jetzt erst?

Die Proteste mögen ja gerechtfertigt sein, aber für mich wirkt das ganze sehr emotionalisiert. Und bei aller (berechtigten!) Kritik an der politischen Führungskaste muss sich gelegentlich auch der Wähler an die eigene Nase fassen und sich selbst gewisse Standards der Entscheidungsfindung auferlegen.

Dies ist übrigens auch ein Grund, weshalb ich Volksentscheiden recht skeptisch gegenüberstehe. Ich male mir lieber nicht aus was passieren würde, würde man nach einer Folge von "Tatort Internet" über die Todesstrafe für Sexualstraftäter abstimmen lassen.

Bei "Tatort Internet" läuft es mir kalt den Rücken runter. Aber nicht nur wegen der dort vorgestellten Pädophilen, sondern vor allem wegen der Machart der Sendung. Aber auch das ist ein anderes Thema.

Wobei ich ja auch der Ansicht bin, dass eine Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken der einzige Weg ist, Kinder effektiv vor Kinderschändern zu schützen. Wieso? Das ist doch offensichtlich! Und jeder, der dagegen ist, leistet der Kinderpornografie Vorschub und soll sich was schämen! Oder so ähnlich.

Deutschland - Eine "Dagegen!"-Republik?

Mir drängt sich manchmal der Eindruck auf, dass man in Deutschland inzwischen gegen alles ist. Nur bloß nichts verändern, man kann nie nie wissen was passieren könnte.

Wenn Google Streetview gestartet ist, werde ich mal gespannt schauen, wer sein Haus alles hat verpixeln lassen.

7 Kommentare:

Simon Sunnyboy hat gesagt…

Klasse zusammengefasst! Deine Aussagen kann ich pauschal so zustimmen.

Bzgl Stuttgart 21 kann ich Dir nur raten, besuch uns mal hier am See mit dem Zug. Wenn Dir der Abschnitt Stuttgart-Ulm auch unnötig lang vorkommt, weisst du warum ein Bypass nötig ist. Ob der einen Bahnhofsumbau braucht, vermutlich nicht, man könnte auch ausserhalb nen Fernbahnhof machen.

Aus Sicht der auch gerade von denen, die protestieren, gewünschten Nutzung der Schiene, ist in Stuttgart ein Umbau der Strecken unumgänglich. Allein daher versteh ich die Proteste gewisser Parteien NICHT.

hering51 hat gesagt…

Ganz Recht. Sie haben keinerlei Ahnung von Energieversorgung, Energieerzeugung, Energieverteilung und Energiespeicherung. Also, warum versuchen Sie es dann? Die Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke verhindert einen zügigen Umstieg auf regenerative Energien die unsere einzigen Energiequellen in Zukunft sein werden.
Die Anlieferung neuen Brennmaterials zu verhindern ist allerdings eine gute Idee.
Die Argumentation zu Stuttgart 21 (man hatte doch lange Zeit sich dagegen zu wehren, warum erst jetzt etc. pp.) wurde ebenfalls mehrfach widerlegt.
Wir sind keine "Dagegen-Republik" sondern wir lernen gerade mühsam das Demokratie mehr ist als alle paar Jahre irgendwo ein Kreuzchen zu machen.
Die Verknüpfung zu Google Street-View verstehe ich nicht ganz.

pcxHB hat gesagt…

"Die Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke verhindert einen zügigen Umstieg auf regenerative Energien die unsere einzigen Energiequellen in Zukunft sein werden."

Ich habe dazu geschrieben, dass Bedingung für eine Verlängerung der Laufzeiten sein muss, dass mit der jetzigen Technologie keine Alternativen bestehen. Ohne Alternativen geht aber mit der Abschaltung der AKWs das Licht aus, da kann man auch nichts erzwingen.

"...wurde ebenfalls mehrfach widerlegt."

Und die Widerlegungen wurden auch widerlegt. Machen wir jetzt eine abstrakte Meta-Diskussion ohne Argumente?

"Die Verknüpfung zu Google Street-View verstehe ich nicht ganz."

Bei StreetView sich viele Leute aus einer diffusen Angst heraus dagegen. Das Problem bei solchen Ängsten ist jedoch, dass man sie rational nicht diskutieren/widerlegen kann. Solche Ängste muss man zwar auch respektieren, aber man sollte sich dennoch nicht zu sehr von seinen Ängsten beherrschen lassen.

Bätschman hat gesagt…

Einen ähnlichen Beitrag habe ich auf meinem Blog selber verfasst. Allerdings habe ich die Gewichtung mehr auf die direkte Demokratie gelenkt. Ich kann mich ebenfalls mit keiner der Seiten, egal ob bei S21 oder Castor, anfreunden. Politiker entscheiden was sie wollen, Demonstranten zerstören Sachen und begründen das mit moralischem Recht und die Polizei ist gleichzeitig zwischen den Parteien eingeklemmt, knüppelt aber auch auf Demonstranten ein. Als "normaler" Bürger fragt man sich was eigentlich abgeht in der Republik. Sachlagen, Studien und gemäßigte Gespräche spielen schon lange keine Rolle mehr. In den USA war neulich eine Demo für mehr Zurückhaltung im US-Wahlkampf. Vielleicht braucht es in Deutschland eine dritte Bewegung für mehr Sachlichkeit und einen kühleren Kopf. Beide Seite haben massiv übertrieben und grobe Fehler gemacht.
Direkte Demokratie wäre eine Möglichkeit. Die Frage ist allerdings, ob der Bürger auch dafür bereits ist. Ist der Wähler bereit die Verantwortung für politische Entscheide zu tragen? Sind Gegner bereit bei verlorenen Wahlen friedlich nach Hause zu gehen? Sind Wähler breit sich zu informieren oder wird aus Prinzip gegen die Regierung gestimmt?
Kleine Beispiele: Was passiert, wenn wir per direkte Demokratie aus dem Atomstrom aussteigen und der Strom wird teurer? Nimmt das der Wähler in Kauf und sucht dann auch bei sich die Schuld oder ist dann wieder die Politik schuld? Was passiert wenn S21 per Wahl abgelehnt wird und Stuttgart verliert Arbeitsplätze? Was passiert wenn S21 per Wahl gebaut wird? Gehen dann alle S21-Gegner fair und friedlich nach Hause? Wird die Entscheidung fair und sportlich akzeptiert oder wird ein Volksentscheid nur akzeptiert, wenn er nach der Meinung der Demonstranten ausfällt? Wie weit gehen die demokratischen Zugeständnisse wenn man eine Wahl verliert?

Es ist im Moment viel im Gange in Deutschland. Dennoch sollten wir dringend daran arbeiten zu überlegen wie es weiter gehen soll. Und wie wir unseren gesellschaftlichen Frieden wieder herstellen wollen.

mfg

pcxHB hat gesagt…

Die direkte Demokratie ist in der Theorie sicherlich eine feine Sache und theoretisch sicherlich auch die beste aller Demokratieformen. Sie setzt aber voraus, dass jeder Mensch auch die Zeit, Motivation und intellektuellen Ressourcen hat, sich mit einem Thema ausreichend zu beschäftigen. Und da da sehe ich bei komplexeren Themen, die sich nicht nach Bauchgefühl entscheiden lassen, erhebliche Probleme. Ich für meinen Teil bin ganz froh, dass ich mich nach einem langen Arbeitstag nicht auch noch um Staatsgeschäfte kümmern muss.

Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. Außerdem sind Menschen extrem leicht zu manipulieren. Bevor man die direkte Demokratie einführt sollte man genau prüfen, ob man damit nicht faktisch den Chefredakteur der Bild zum Staatsoberhaupt ernennt.

Simon Sunnyboy hat gesagt…

Sehr richtig!

So übel wie er war, aber Joseph Goebbels hat genau diesen Aspekt schon auf den Punkt gebracht: "Die Masse ist dumm und geschichstlos."

Ich halte direkte Demokratie für einen kapitalen Fehler, denn wenn schon Leute mit einem gewissen Bildungsniveau keine Zeit haben und auch keine Lust, sich direkt zu engagieren, dann führt eine Beteiligung aller Stimmen nur zum Chaos.
Ich würde lieber die vorhandene repräsentative Demokratie verbessern, in dem z.B. die Wahl desjenigen, der meine Stimme repräsentieren soll, transparenter und vorallem abseits von Parteienküngel und Lobbyismus geschieht.

wer sich direkter engagieren will, kann das in einer demokratischen Partei seiner Wahl ohne Probleme auf Orts- und Kommunalebene tun. Dieser Umbau muss von unten kommen.

Wenn schon die Repräsentanten vor Ort nicht wirklich bekannt sind, kann man nicht wirklich erwarten, daß dies mehrere Ebenen höher besser wird.

Daher kann meiner Meinung eine Verbesserung des bestehenden Systems nur aus einem Umbau von unten kommen.

Entscheidungen aus dem Bauch heraus würden alles nur kaputt machen.

Auf keinen Fall den Chefredakteur der Bild oder WAZ oder gar der taz zur demokratischen Stimme erheben!

AhoiImpi hat gesagt…

Soweit ich weiß, haben die S21-Gegner doch mit K21 längst ein Alternativkonzept geschrieben. Und die Atomkraftgegner haben ja auch seit 30 Jahren den Gedanken, die Energieversorgung in Deutschland auf dezentrale und regenerative Füße zu stellen.

Ich sehe nicht ganz den Punkt, warum gerade diese beiden Beispiele hier von einer "Dagegen!"-Republik zeugen.

Bessere Beispiele die mir dafür einfallen sind die Ablehnung der Schulreform in Hamburg oder Proteste gegen den Bau von Moscheen.