Montag, 30. März 2009

Re: Ist jeder Schwule schwul?

Gerade lese ich bei Impi einen Blogeintrag mit dem Thema "Ist jeder Schwule schwul?" und ich muss sagen, dass ich mich darüber doch ein wenig wundere, um nicht zu sagen ärgere.

Da ich in dem Eintrag auch noch falsch zitiert werde, möchte ich an dieser Stelle mal eine Stellungnahme bzw. Richtigstellung schreiben:

"Die Profile dort sind sehr unterschiedlich und es wäre albern, jetzt irgendwelche grundsätzlichen Aussagen zu treffen. Was mich aber tief getroffen hat waren Profile von oft älteren Herren, die in Lederanzügen posierten und wo im ganzen Profil ein tiefer Ausdruck von Einsamkeit durchdrang."
Es mag durchaus sein, dass diese Menschen einsam sind. Wenn man mal ehrlich ist, sind doch die meisten Menschen in der heutigen Zeit auf die eine oder andere Art einsam. Aber das hat nichts mit der sexuellen Orientierung zu tun.

In dem geschilderten Fall kommen mehrere "schockierende" Aspekte zusammen, die man nicht in einen Topf werfen sollte:

Erstens geht es um einen alten Mann. 'Alte Menschen und Sexualität' ist generell ein schwieriges Thema und vielen alten Leuten wird von der jüngeren Generation kaum eine eigene Sexualität zugestanden. Nach den heutigen Normen sollen alte Menschen die lieben, verständnisvollen Großeltern sein, deren Erfüllung ausschließlich darin besteht, Briefmarken zu sammeln und mit ihren Enkeln zu spielen.

Zweitens: Der Mann ist ein Anhänger der SM-Lederszene, welche immer noch sehr kritisch beäugt wird. Wer mit SM noch nie in Berührung gekommen ist, mag im ersten Moment einen Schreck bekommen. Ich stecke in der SM-Szene auch nicht so tief drin, aber ich kann dennoch sagen, dass das alles nicht so schlimm ist, wie es auf den ersten Blick aussehen mag. Auch die Gründe dafür sind bei näherer Betrachtung durchaus nachvollziehbar.

SM ist im Übrigen auch keine schwule Erfindung, diese Spielart wird ebenso in heterosexuellen Kreisen praktiziert. Und auch da ist der Skandal groß, wenn Details in die Öffentlichkeit dringen, wie man z.B. im Skandal um FIA-Präsident Mosley sehen konnte (was an den Nazigeschichten dran war, vermag ich nicht zu beurteilen).

Dass Schwule mit ihrer Sexualität offener umgehen als die meisten Heteros, ist wohl unstrittig. Irgend eine böse Zunge hat mal gesagt, dass Schwule so seien wie Heteros gerne wären, wäre da nicht der "Bremsklotz Frau". Das ist natürlich überspitzt formuliert, aber im Kern denke ich schon zutreffend.

Wenn Impi mit dem Thema noch keine Berührungspunkte hatte, kann ich schon verstehen, wenn ihn der Anblick so vieler Tabus auf einmal schockiert. Eins muss jedoch klar gesagt werden: GayRomeo ist ein Chat für volljährige schwule Männer. Kinder und Jugendliche haben dort keinen Zutritt und es gibt dort Foren zu wirklich jedem Thema, Von allen möglichen Fernsehserien über diverse Hobbys (z.B. auch Geocaching oder Amateurfunk) über philosophische Themen bis hin zu Hardcore-Sex deckt die Plattform so ziemlich die gesamte Bandbreite menschlichen Lebens ab.

Drittens: Der Mann ist schwul. Das ist aber in meinen Augen der unwichtigste Aspekt, denn in der Einsamkeit sind alle Menschen gleich.

"Mir stellte sich da zwangsläufig die Frage, ob Homosexualität nicht auch eine Art „Ausweichen“ sein kann, wenn man(n) von der heterosexuellen Liebe überfordert oder enttäuscht ist?"
Dieser Absatz ist - vorsichtig ausgedrückt - ziemlicher Schwachsinn. Ich habe ziemlich tiefen Einblick sowohl in heterosexuelle als auch in schwule Beziehungen und deren Sexleben, somit kann ich mit absoluter Sicherheit sagen, dass es keine heterosexuelle oder schwule Liebe gibt. Es gibt einfach nur Liebe, und die ist in allen Fällen ziemlich gleich, egal ob man auf blond oder braun, Männer oder Frauen steht. In allen Fällen ist die Liebe mit den gleichen Problemen, Chancen und Freuden verbunden.

Die Frage nach einer schwulen Beziehung als "Easy Mode" einer heterosexuellen Beziehung offenbart in meinen Augen ein großes Unverständnis der Zusammenhänge, denn es impliziert eine Wahlmöglichkeit, die es nicht gibt. Es mag für Schwule einfacher sein, Sex zu finden als für einen Hetero. Aber jemandem, der von Männern nicht erregt wird, hilft das auch nicht weiter.

Sex ist zudem keine Liebe. Wer mehr als reine Triebbefriedigung sucht, hat es als Schwuler auch nicht einfacher als ein Hetero.

Schwerer möglicherweise schon, aber nicht, weil Schwule nicht so "liebesfähig" sind, sondern weil die "Schwulenkonzentration" niedriger ist. Wenn nur rund 5-10% der Bevölkerung überhaupt als potentielle Partner in Frage kommen (so hoch liegt der geschätzte durchschnittliche Anteil Schwuler an der (männlichen) Gesamtbevölkerung), macht das die Sache schon rein statistisch nicht gerade einfacher. In diesem 5-10%-Fenster spielt sich dann genau das selbe Schauspiel ab, das man auch im Heterolager findet.

Nebenbei bemerkt ist ein schwuler Lebensweg immer noch mit gesellschaftlichen Problemen verbunden und ein Coming-Out (sowohl das innere, als auch das äußere) kostet immer noch eine Menge Kraft. Wer eine schwule Beziehung führt, geht also wohl kaum den Weg des geringsten Widerstandes.

"Im schwulen Milieu geht das Anbandeln ja oft unkomplizierter von statten, herrscht sozusagen keine Etikette und das Balzritual ist leichter und öfter auf Sex ausgerichtet."
Männer interessieren sich nun mal besonders für Sex, das gilt auch für Heteros. Guck Dir doch mal Filme wie American Pie an. Oder hör Dir Porno-Rap an. Da dreht sich auch alles nur um Sex, am besten mit mehreren Mädels gleichzeitig.

Die Gay-Szene hat sich lediglich das Konzept der Freien Liebe erhalten. Das gab's auch in Heterokreisen schon, wurde jedoch von religiösen Eiferern wieder zurückgedrängt.

"Und auch wenn im schwulen Netz viele „Faker“ ihr Unwesen treiben, wie Lars derzeit in seinem Blog betont"
Das habe ich so nie gesagt! Ich sprach vom Internet allgemein. Ich sehe das auch nicht als schwules Problem an. Es ist ein allgemeines gesellschaftliches Problem, dass die scheinbare Anonymität im Netz die Nutzer zu allerlei Blödsinn verleitet. In heterosexuellen Chats gibt es auch genügend Leute, die sich für jemand anders ausgeben und z.B. einen Klassenkameraden verarschen, in dem sie sich als Frau ausgeben und mit ihm flirten, um das Chatlog dann weiterzuverteilen. Guck mal bei Heise, was da alles über Mobbing bei SchülerVZ und MySpace steht.

Einen Unterschied gibt es jedoch zwischen schwulen und heterosexuellen Chatplattformen: Die Schwulen sind deutlich besser organisiert. GayRomeo ist so was wie der Quasi-Standard, weshalb die Seite auch "schwules Einwohnermeldeamt" oder "die blauen Seiten" (in Anlehnung an die gelben Seiten) genannt wird. Im Heterobereich gibt es mehr unabhängige Seiten, was angesichts der Anzahl der Chatter auch nicht wirklich verwunderlich ist. Selbst GayRomeo hat immer wieder Ausfälle weil die Server dem Ansturm einfach nicht gewachsen sind.

(Gay-)Parship ist übrigens tatsächlich ein wenig "elitärer". Dort hat mich bisher noch keiner nach schnellem Sex gefragt, statt dessen habe ich mit so vielen Doktoranden gechattet wie schon lange nicht mehr. (Das heißt nicht, dass auf der Plattform nur Doktoren registriert sind, aber das System hat offenbar richtig erkannt, dass ich eher jemanden mit etwas mehr in der Birne suche. Einen Doktortitel setzte ich aber natürlich nicht voraus. Aber das nur am Rande, das Thema bekommt wahrscheinlich noch mal einen eigenen Blogeintrag.)

"ich stelle einfach mal unwissend die Behauptung auf: Es gibt nicht wenige Schwule, die statt Verantwortung nur den schnellen Sex suchen. Damit mag ich mich irren, damit will ich niemanden verurteilen, damit will ich im Grunde auch gar nicht über Schwule schreiben."
Warum? Weil nicht alle eine Familie gründen und Kinder zeugen? Auch diese schwulen Paare gibt es. Und auch bei Heteropaaren sind die Zahlen eher rückläufig.

Ich denke nicht, dass Schwule vor der Verantwortung weglaufen wollen, sondern dass die Menschen von Heute generell mit dem Stress und den Anforderungen der modernen Arbeitswelt überfordert sind und die zunehmende Forderung nach ständiger Flexibilität in allen Lebensbereichen hier ihren Tribut fordert.

"Zwei Dinge sind es, die mir daran am Herzen liegen. Zum einen – und dafür benötigt es kaum mehr Empathie als die eines Bauzaunes, fühle ich selber mich durch die sublimen Normen überfordert, die ich einhalten muss, um das zu bekommen, was ich zum Überleben brauche: Wärme."
Klingt, als wenn der Neid die Feder geführt hat. Ich nehme es mal als Kompliment.

Ich glaube aber wie gesagt nicht, dass es Schwule diesbezüglich einfacher haben. Schnelle Triebbefriedigung ist das eine, aber Wärme und Geborgenheit etwas ganz anderes. Ein Wechsel des Ufers (sofern es denn ginge) würde Deine Probleme also sehr wahrscheinlich nicht lösen.

"Zum anderen aber geht es mir auch um den bewussten Tabubruch. Es ist doch absurd, das hierzulande jeder jeden am liebsten wegen jeder kleinen Krise zum Psychologen schicken möchte, bei sexuellen Normabweichungen aber sofort überschwänglich betont wird, das doch alles erlaubt sei, was den Beteiligten Spaß macht."
Ist dem so? Ist mir bisher nicht aufgefallen.

"Aber – ist es nicht genau dieses „nicht mehr hinterfragen“-wollen und dürfen, das den Weg ebnet für Intoleranz und Hass, das Tür und Tor für religiöse Spinner öffnet, die Schwule neuerdings von ihrer Krankheit heilen wollen?"
Man darf alles hinterfragen und ich bin ganz allgemein ein Gegner von Tabus und ein Befürworter von offenen Gesprächen. Es gibt meiner Ansicht nach nichts gefährlicheres als Halbwissen. Der Halbwissende glaubt etwas zu wissen, obwohl er in Wirklichkeit keine Ahnung hat und das verleitet ihn zu Schlussfolgerungen, die auf den ersten Blick logisch klingen und daher auch andere Halbwissende überzeugen, bei näherer Betrachtung jedoch falsch sind. Ich denke, gerade der Islam hat damit sehr stark zu kämpfen. Aber dieses Schema findet man eigentlich überall.

Was mich an Deinem Blogeintrag aufregt ist, dass Du Dich mehrere Stunden in einen schwulen Chat einloggst und die gesammelten Eindrücke nutzt, um in einem Blogeintrag halbgare Thesen vom Stapel zu lassen.

Ich habe nichts dagegen, wenn Du mal in die schwule Welt reinguckst. Ganz im Gegenteil, ich finde es gut und wichtig, auch mal über den eigenen Tellerrand zu gucken. Aber nicht zuletzt, weil Du ein Kennenlern-Treffen mit mir wiederholt abgelehnt hast, drängt sich mir der Eindruck auf, dass Du an einem tieferen Verständnis meiner und der schwulen Lebensweise im Allgemeinen gar nicht ernsthaft interessiert bist. Wenn Du schon mehrere Stunden in einem schwulen Chat verbracht hast, hättest Du zumindest die Chance nutzen können, ein paar der anderen Chatter zu interviewen und vielleicht dadurch zu einem tieferen Verständnis der schwulen Kultur zu kommen.

Nach diesem Blogeintrag und Deinen Kommentaren zum Parship-Eintrag denke ich erst recht, dass wir uns mal treffen sollten. Wenn ein Heteromann sich nicht mit mir auf eine Cola zu einem unverbindlichen Kennenlernen treffen mag, weil er Angst hat, damit emotional nicht klarzukommen und dieser Mann kurze kurze Zeit später mehrere Stunden in einem schwulen Chat verbringt, dann mache ich mir absolut keine Sorgen, dass wir uns bei dem Treffen nichts zu erzählen hätten...

An dieser Stelle ist aber wohl der Punkt gekommen, an dem diese Diskussion nicht mehr in einem öffentlichen Blog geführt werden sollte. Wenn Du ein Interesse an einer offenen Diskussion hast, kannst Du Dich ja per Email bei mir melden.

8 Kommentare:

Assoziationskatalysator-Impi hat gesagt…

Natürlich kann man mit dem selben Recht anmerken, dass Menschen sich hinter heterosexuellen Beziehungen verstecken. Schau Dir nur mal an, mit wievielen Kontrollmechanismen die Ehe ausgestattet ist. Und klar bin ich neidisch auf ein Balzritual, dass nicht soviel Etikette besitzt. Nur einen Schuh lass ich mir hier nicht anziehen: Das ich jemals behauptet hätte, Schwule oder Lesben hätten es leichter, Liebe zu finden.

pcxHB hat gesagt…

Aber genau dieser Schuh ist die logische Konsequenz aus Deiner "Ausweich-Theorie". Wenn jemand auf die "schwule Liebe" ausweicht, weil er von der "heterosexuellen Liebe" überfordert ist, impliziert das, dass die "schwule Liebe" einfacher zu Handhaben ist.

Man kann eine Überforderung schließlich nicht beheben, in dem man sich einer noch komplizierteren Aufgabe zuwendet. Das ergibt keinen Sinn.

Damit es einen Sinn ergibt, müsste die "schwule Liebe" in einem solche Maße "einfacher" sein, dass der heterosexuelle Überforderte dafür den Verzicht auf das von ihm bevorzugte Geschlecht in Kauf nimmt. Dies ist meiner Meinung nach eine sehr hohe Hürde.

Sowas nennt sich "Situative Homosexualität" und kommt z.B. gelegentlich in Gefängnissen vor. Ich vermute allerdings, dass es dabei mehr um Sex als um Liebe geht. Unter diesen Extrembedingungen kann Deine Theorie funktionieren, denn dort ist eine schwule Beziehung die einzig mögliche und somit gezwungenermaßen auch die einfachste.

Dieser Fall ist aber so speziell, dass man daraus keine allgemeinen Schlüsse ziehen kann.

Assoziationskatalysator-Impi hat gesagt…

Die Menschen handeln aber nicht immer so, wie Du es für logisch oder unlogisch hälst.

pcxHB hat gesagt…

Das mag ja sein, aber das widerspräche in diesem Fall all meiner bisherigen Erfahrung.

Oder kennst Du einen einzigen Hetero, der auch nur ernsthaft mit dem Gedanken gespielt hätte, aus Verzweifelung das Ufer zu wechseln und eine Beziehung mit einem Mann zu versuchen?

Du kannst ja mal eine Umfrage starten...

Assoziationskatalysator-Impi hat gesagt…

Weil Du also bestimmte Erfahrungen gemacht hast, verallgemeinerst Du fröhlich - empörst Dich aber gleichzeitig, wenn das jemand anderer macht?

pcxHB hat gesagt…

Naja, da ich mich schon viele Jahre mit dem Thema befasse, denke ich, dass ich da schon mal eine Prognose wagen kann. Aber wenn Du mir eine entsprechende Person zeigen kannst oder sonstwie schlüssig darlegen, wieso jemand soetwas tun sollte, lasse ich mich auch gerne überzeugen.

Aber ich habe bisher eher die Erfahrung gemacht, dass es Heteros sehr viel Überwindung kostet, sich überhaupt auf einen intimeren Kontakt (und sei es nur ein offenes Gespräch über intimere Themen) mit einem Mann einzulassen. Und wenn ich mich bei Heteromännern geoutet habe, dann haben diese fast immer irgendwie deutlich gemacht, dass sie selbst nicht schwul seien, selbst wenn das nie vermutet wurde oder jemals zur Debatte stand.

Gute-Nacht-Impi hat gesagt…

Es steht Dir frei, über Deine Erfahrungen mit Deinen Mitmenschen zu schreiben und daraus irgendwelche Prognosen abzuleiten.

Anonym hat gesagt…

"Briefmarken zu sammeln und mit ihren Enkeln zu spielen."
Ums Himmels Willen nur sowas nicht, das tun hinwiederum "die Pädophilen"!

Deine Überlegungen sind wichtig und bedenkenswert. Aber noch wichtiger wäre der Hinweis, dass vor allem in der Heterosexualität der Fick das Symbol für die Hierarchisierung der Geschlechter darstellt (Ficker und Gefickte). Eben auch unter Männern...

Frauen müssen (kulturell) gefickt werden, Männer "dürfen" gefickt werden. Ich hoffe, der kleine Unterschied ist spürbar.

Was alle Männer* gemeinsam haben, ist die Homosexualität. An sich selber oder am Anderen lustvoll ausgeübt.
Was den Unterschied ausmacht, ist das Vatersein und das Schwulsein.
Beides geht über die Lust hinaus. Es erfordert die Auseinanderset-zung mit der eigenen Sexualität und deren Folgen. (Was weitherum bei beiden ein grosser Mangel ist!)

Während bei den Heteros "Einbahnverkehr" vorherrscht/frauscht, braucht es zwischen Männern - nach meiner Auffassung - eine Willensäusserung, um den Zweibahnverkehr zu praktizieren. Auch anatomisch ist ein Unterschied.Also "einfacher" ist es nicht unbedingt.

Der Schlusspunkt: Heterosexuelle sind sehr viel mehr überfordert mit der Homosexualität als Schwule mit der Heterosexualität. Das schleckt kein Mann weg! .-p